WIRD DIE AUFKLÄRUNG DES ANGEBOTS VERWEIGERT, DROHT DER AUSSCHLUSS
Nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A darf der öffentliche Auftraggeber im offenen Verfahren nach Öffnung der Angebote bis zur Zuschlagserteilung von einem Bieter Aufklärung verlangen, um sich u. a. über seine Eignung zu unterrichten. Er kann sich dabei auf alle Aspekte der Eignung beziehen, also zum Beispiel auch auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit. Wenn ein Bieter die vom Auftraggeber geforderten Aufklärungen und Angaben verweigert, ist dessen Angebot zwingend auszuschließen.
Welches geeignete Mittel er für die Aufklärung wählt, also etwa welche Unterlagen er verlangt, steht dem Auftraggeber grundsätzlich frei. So können Jahresabschlüsse mit Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV) ein geeignetes Instrument zur Aufklärung von Umsatzangaben sein. Der Auftraggeber ist dabei nicht einmal an die in der Bekanntmachung geforderten Nachweise gebunden. Das zeigt eine Entscheidung der Vergabekammer (VK) des Bundes (Beschluss vom 27.05.2020 – VK 2-21/20).
Der Fall
Der Auftraggeber schrieb die Vergabe eines Bauauftrags im offenen Verfahren aus. Zum Beleg der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit verlangte er in der Auftragsbekanntmachung u. a. den ,,Nachweis für den Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre. Als Mindestanforderung muss ein durchschnittlicher Mindestumsatz je Geschäftsjahr in Höhe von 4 Mio. Euro brutto (…) nachgewiesen werden.“ Die Angaben waren durch eine Eigenerklärung der Bieter gemäß Formblatt 124 zu erbringen. Die spätere Antragstellerin und die spätere Beigeladene gaben jeweils ein Angebot ab. Das Angebot der Beigeladenen war das preislich günstigste – das Angebot der Antragstellerin lag an dritter Stelle.
Der Auftraggeber forderte von der Beigeladenen weitere Nachweise bzw. Erklärungen zu den von ihr im Formblatt 124 gemachten Umsatzangaben. Die Beigeladene übersandte daraufhin zwei Bescheinigungen ihrer Steuerberater. Das vom Auftraggeber beauftragte Ingenieurbüro bejahte die Eignung der Beigeladenen, dieser sollte daraufhin der Zuschlag erteilt werden. Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung: Weder die Beigeladene noch das zweitplatzierte Unternehmen hätten die verlangten Umsatzziele erreicht. Als Beleg legte die Antragstellerin eine von ihr eingeholte Auskunft der Creditreform vor, worin jeweils niedrigere Umsatzzahlen verzeichnet waren.
Der Auftraggeber nahm die in seinem Unternehmensregister und aus früheren Vergabeverfahren bei ihm vorhandenen Daten sowie die Creditreform-Auskunft zum Anlass, eine Aufklärung des Angebotes der Beigeladenen zu veranlassen. Er forderte die Beigeladene auf, die Jahresabschlüsse mit Gewinn- und Verlustrechnung für die Jahre 2016, 2017 und 2018 zu übersenden. Dem kam die Beigeladene nicht nach. Sie verwies im Wesentlichen auf die bereits vorgelegten Bestätigungen ihrer Steuerberater. Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 2016 bis 2018 seien in der Auftragsbekanntmachung nicht konkret gefordert worden und dürften daher nun auch nicht nachgefordert werden. In einem Telefonat mit dem Auftraggeber bestätigte der Steuerberater der Beigeladenen die gemachten Angaben.
Der Auftraggeber wies die Rüge der Antragstellerin zurück; die Beigeladene habe die geforderten Mindestumsatzzahlen erfüllt, daher halte er an seiner Zuschlagsabsicht fest. Die Antragstellerin strengte ein Nachprüfungsverfahren an.
Die Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag hatte Erfolg. Das Angebot der Beigeladenen sei nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A 2019 zwingend auszuschließen, entschied die Vergabekammer. Die Beigeladene habe nicht die von der Auftraggeberin zulässigerweise geforderte Aufklärung betrieben, da sie es abgelehnt habe, die erbetenen Jahresabschlüsse mit Gewinn- und Verlustrechnung vorzulegen. Die Auftraggeberin habe daher im Ergebnis die Eignung der Beigeladenen auf einer nicht belastbaren Grundlage bejaht. Nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A ist ein Angebot zwingend auszuschließen, wenn ein Bieter die vom Auftraggeber geforderten Aufklärungen und Angaben verweigert.
Die Voraussetzungen für eine Aufklärung nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A lagen aus Sicht der Vergabekammer vor. Bei der gegebenen Erkenntnislage sei es mit Blick auf den chancengleichen Wettbewerb nicht fehlerhaft gewesen, dass der Auftraggeber sich nicht auf die bis dato von der Beigeladenen gemachten Angaben und Nachweise verlassen habe. Die Rüge der Antragstellerin sei ein hinreichender Anlass für den Auftraggeber gewesen, die genauen Umsätze der Beigeladenen aufzuklären, um nachvollziehen zu können, ob diese den geforderten Mindestumsatz erfüllt habe. Die Angaben der Beigeladenen für 2016 und 2017 hätten sich dabei deutlich von den Creditreform-Auskünften unterschieden. Die Daten im Unternehmensregister hätten zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Umsätze tendenziell den Angaben der Creditreform entsprachen.
Auch die Angaben der Beigeladenen in vorangegangenen Vergabeverfahren seien nicht unerheblich niedriger gewesen als die jetzt im Formblatt 124 mitgeteilten. Vor diesem Hintergrund habe der Auftraggeber nicht davon ausgehen können, dass die Beigeladene die Mindestanforderungen in jedem Fall erfüllt habe. Das vom Auftraggeber gewählte Aufklärungsmittel, die Anforderung der Jahresabschlüsse mit Gewinn- und Verlustrechnung für die Jahre 2016 bis 2018, erachtet die Vergabekammer als sachgemäß und verhältnismäßig. Die Bestätigung der Umsatzerlöse durch den Steuerberater sei kein milderes Mittel gewesen, das genauso geeignet gewesen wäre. Dem Auftraggeber sei es ja gerade darum gegangen, die Angaben der Steuerberater der Beigeladenen aufzuklären und zu diesem Zweck anhand der Gewinn- und Verlustrechnungen plausibel nachvollziehen zu können, wie hoch die Umsätze der Beigeladenen tatsächlich gewesen seien. Die Bestätigungen des Steuerberaters erfüllten diesen Zweck ersichtlich nicht.
Der Auftraggeber war auch nicht verpflichtet, sich nur auf die Bestätigungen der Steuerberater zu beschränken. Zwar habe die Auftragsbekanntmachung nur den „Nachweis für den Umsatz der letzten 3 Geschäftsjahre (…)“ vorgeschrieben, ohne dies näher zu konkretisieren. Das Aufklärungsersuchen sei jedoch von der Auftragsbekanntmachung zu unterscheiden. Für eine fehlerfreie Eignungsprognose stehe es dem Auftraggeber grundsätzlich frei, die ihm geeignet erscheinenden Aufklärungsmittel zu benennen. Bestehe – wie hier – ein Aufklärungsbedarf, so habe der Auftraggeber einen sachlichen Grund, sich die zugrunde liegenden Wirtschaftsdaten vorlegen zu lassen.
Schließlich bedeute die Vorlage der Abschlüsse im konkreten Fall auch keine übermäßige Belastung für die Beigeladene. Dadurch dass sich die Beigeladene nur auf die Bestätigungen ihres Steuerberaters berufen habe, habe sie die geforderte Aufklärung in der Sache verweigert. Die Eignungsprognose des Auftraggebers für die Beigeladene sei damit fehlerhaft gewesen: Es habe letztlich keine verlässliche Tatsachengrundlage hinsichtlich der Erfüllung der geforderten Umsatzziele bestanden.
Die Bedeutung für Bieter
Öffentliche Aufträge dürfen nur an geeignete Unternehmen vergeben werden (§ 122 Abs. 1 GWB). Der Auftraggeber muss die Eignung der Bieter im Vergabeverfahren anhand der von ihm festgelegten Kriterien und geforderten Nachweise überprüfen. Entstehen hierbei Zweifel hinsichtlich der Leistungsfähigkeit eines Bieters, muss der Auftraggeber diese konsequent aufklären. Wie er das tut, ist seine Sache. Er darf grundsätzlich alle geeigneten, erforderlichen und angemessenen (= verhältnismäßigen) Mittel zur Aufklärung von den Bietern fordern – selbst solche Nachweise, die über die in der Auftragsbekanntmachung genannten hinausgehen. Das stellt die Vergabekammer des Bundes ausdrücklich klar. Bieter sollten das Aufklärungsverlangen eines Auftraggebers ernst nehmen und ihm, soweit möglich, gewissenhaft nachkommen. Sonst droht der Ausschluss des eigenen Angebotes.
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