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VERSTÖSSE RICHTIG RÜGEN: AUF EIGENE MARKTKENNTNISSE BERUFEN?

Verstöße richtig rügen: Auf eigene Marktkenntnisse berufen?

Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bemühen, müssen Verstöße gegen Vergabevorschriften in europaweiten Vergabeverfahren so zügig wie möglich rügen.
§ 160 Abs. 3 GWB enthält hierzu differenzierte Regelungen, bei denen unterschiedliche Rügefristen zu beachten sind.

 

Die Rüge soll den Auftraggeber in die Lage versetzen, einen Verstoß umgehend zu korrigieren – die Rüge ist also einerseits ein Mittel zur Selbstkorrektur und dient auch der Beschleunigung des Vergabeverfahrens. Andererseits ist sie Zugangsvoraussetzung zum Nachprüfungsverfahren. Ohne Rüge letztlich also auch kein Rechtsschutz.

An den Inhalt der Rügen ist ein großzügiger Maßstab anzulegen: Da ein Bieter nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, darf er auch etwas beanstanden, was er nur für wahrscheinlich oder möglich hält, wenn es um Verstöße geht, die sich in der Sphäre der Vergabestelle abspielen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen. Bei Verstößen, die sich nicht vollständig der Einsichtsmöglichkeit eines Bieters entziehen, sind zumindest tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vorzutragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Verstoß begründen.

Ein Mindestmaß an Substanz muss die Rüge also enthalten; reine Vermutungen zu eventuellen Verstößen reichen nicht. Das bestätigt eine Entscheidung der Vergabekammer (VK) Hamburg (Beschluss vom 12.09.2019 – VgK FB 6/19) einmal mehr: Demnach reicht das Berufen eines Unternehmens auf eigene ,,Marktkenntnisse", wonach die anderen Bewerber nicht oder nicht besser geeignet sind, für eine Rüge nicht. Denn dem Auftraggeber wird so nicht ermöglicht, dieser Beanstandung näher nachzugehen.

 

Der Fall

In dem konkreten Fall ging es um ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zur Beschaffung eines klinischen Arbeitsplatzsystems und der elektronischen Patientenakte. In der Auftragsbekanntmachung waren Eignungskriterien festgelegt, auf deren Basis maximal fünf Bewerber ausgewählt und anschließend zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollten. Die Auftraggeberin teilte der späteren Antragstellerin mit, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne, da fünf Bewerber besser geeignet gewesen waren.

Die Antragstellerin wehrte sich gegen ihre Nichtberücksichtigung mit einer Rüge gegenüber der Auftraggeberin. Sie bemängelte, dass ihr Ausschluss nicht begründet worden sei; „vor dem Hintergrund der bei ihr vorhandenen Marktkenntnisse“ könne dieser nur auf sachwidrigen Erwägungen beruhen. Warum sie Anlass zu der Vermutung hatte, dass andere Bewerber nicht besser geeignet waren als sie selbst, erläuterte die Antragstellerin nicht.

Die Auftraggeberin half der Rüge nicht ab, teilte der Antragstellerin jedoch jetzt die einzelnen Gründe für ihren Ausschluss mit. Ohne die ihr mitgeteilte Begründung für den Ausschluss erneut zu rügen, strengte die Antragstellerin daraufhin ein Nachprüfungsverfahren an. In ihrem Nachprüfungsantrag beanstandete sie erstmalig, dass die Auftraggeberin die Gewichtung der Eignungskriterien nicht bekannt gemacht, sie nicht auftragsbezogene Eignungskriterien angewendet habe und schließlich auch nicht bekannt gemacht habe, wie die Bewertung von mehr als zwei Referenzen erfolgen solle. Sie beantragte, die Auftraggeberin zu verpflichten, über ihren Teilnahmeantrag erneut zu entscheiden und sie zur Abgabe eines Angebotes und zur Teilnahme an den Verhandlungen aufzufordern.

 

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hatte keinen Erfolg. Die Vergabekammer wies den Antrag als unzulässig zurück. Sämtliche von der Antragstellerin geltend gemachten Vergabeverstöße waren zu spät gerügt worden und damit aus formalen Gründen nicht zu berücksichtigen (präkludiert). Denn die Verstöße der unterlassenen Gewichtung der Eignungskriterien bzw. hinsichtlich des Umgangs mit mehr als zwei Referenzen und schließlich der nicht auftragsbezogenen Kriterien (Mitarbeiterzahlen) waren schon auf der Grundlage der Bekanntmachung erkennbar gewesen und daher gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist zu rügen gewesen. Bei sorgfältiger Lektüre habe ein durchschnittlich fachkundiger Bieter erkennen können, dass die Bekanntmachung diesbezüglich Fragen offen lasse, betont die Vergabekammer.

Jedenfalls aber habe die Antragstellerin die Verstöße erkannt, sie jedoch – entgegen § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB – nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von zehn Tagen gerügt. Ein Vergabeverstoß sei jedenfalls dann als bekannt anzusehen, wenn – wie hier – der Antragsteller ihn in seinem Nachprüfungsantrag aufführe. Hinsichtlich der Frage, ob die Auswahlentscheidung auf der Grundlage sachwidriger Erwägungen getroffen worden sei, habe die Antragstellerin Kenntnis von dem Vergabeverstoß spätestens nach der Mitteilung der detaillierten Ausschlussgründe durch die Auftraggeberin gehabt. Sie habe diesen jedoch nicht gerügt. Das Schreiben der Antragstellerin vor Einreichung des Nachprüfungsantrags stelle inhaltlich keine Rüge dar. Denn die Mindestanforderungen an die inhaltliche Substantiierung einer Rüge waren nicht eingehalten, so die Kammer.

Zwar dürften an den Inhalt einer Rüge keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Eine Rüge müsse den Auftraggeber aber zumindest in die Lage versetzen, den beanstandeten Fehler zu erkennen und korrigieren zu können. Dieser müsse erkennen können, welcher Sachverhalt konkret zu Grunde gelegt und woraus im Einzelnen ein konkreter Vergaberechtsverstoß hergeleitet werde. Berufe sich ein Antragsteller auf „Marktkenntnis“, ohne zu unterlegen, was hieraus konkret folge, so bleibe der Vortrag eine Behauptung und damit substanzlos. So sei es im konkreten Fall auch: Das Berufen auf die „Marktkenntnisse“ der Antragstellerin enthalte im Ergebnis nur die Aussage, die anderen Bewerber seien nicht oder nicht besser geeignet als die Antragstellerin selbst.

Dies erlaube der Auftraggeberin keinerlei Prüfung dieser Behauptung über die ohnehin vorliegenden Bewerbungsunterlagen hinaus. Für die Behauptung der Antragstellerin, der Auswahlentscheidung lägen vermeintlich sachwidrige Erwägungen zu Grunde, gelte dies gleichermaßen. Mangels Darlegung konkreter Anknüpfungspunkte bleibe dieser Vortrag ebenfalls substanzlos.

 

Die Bedeutung für Bieter

Ihrem Zweck nach dient die Rüge eines Bewerbers oder Bieters vor allem der Selbstkorrektur des Auftraggebers. Sie muss daher so viel Substanz enthalten, dass der Auftraggeber überhaupt erkennen kann, welcher konkrete Verstoß beanstandet wird und wie diesem abgeholfen werden kann. Die Rüge muss zum Ausdruck bringen, auf welchen konkreten Sachverhalt sie sich bezieht; sie muss die Beanstandung dieses Sachverhalts zum Ausdruck bringen und sie muss deutlich machen, dass der Rügende die Abhilfe der beanstandeten Vorwürfe von der Vergabestelle begehrt.

Um die Beanstandung des Vergabeverfahrens zum Ausdruck zu bringen, müssen keine Paragraphen, Rechtsprechung oder juristische Literatur genannt werden, ausreichend sind Formulierungen, wie

  • „einseitige Bevorzugung bestimmter Bieter“,

  • „übertriebene“, „überzogene“, „unerfüllbare“ oder „unkalkulierbare“ Anforderungen bzw.

  • „fehlende“, „unklare“ bzw. „undurchsichtige“ und „widersprüchliche“ Angaben.

Am besten setzt man der Vergabestelle für die Abhilfe der Rüge bzw. zur Stellungnahme auch eine angemessene Frist, um schnellstmöglich Klarheit über das weitere Vorgehen zu gewinnen.

 

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