VERGABEUNTERLAGEN: NICHT JEDE ABWEICHUNG FÜHRT ZUM AUSSCHLUSS
Angebote, welche die Vergabeunterlagen inhaltlich ändern oder ergänzen, sind zwingend vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen. Einen entsprechenden Ausschlussgrund enthält zum Beispiel § 57 Abs. 1 Nr. 4 der Vergabeverordnung (VgV). § 53 Abs. 7 S.1 VgV hält allgemein fest, dass Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig sind. Der Auftraggeber soll letztendlich genau das erhalten, was er zuvor ausgeschrieben hat.
Die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebotes wäre ihm zudem unmöglich, wenn die Angebote sich inhaltlich unterscheiden und nicht mehr vergleichbar sind. Schließlich sollen Streitigkeiten darüber vermieden werden, was genau Inhalt des Auftrags geworden ist. Ziel der Ausschlussvorschriften ist es auch, eine widerspruchsfreie und wirksame Vertragsgrundlage und eine entsprechende Vertragsdurchführung zu ermöglichen.
Weicht das Angebot eines Bieters also inhaltlich von den Vergabeunterlagen ab, gilt grundsätzlich ein strenger Maßstab: In welchem Maße ein Bieter von den Vergabeunterlagen abgewichen ist, spielt für den Ausschluss zum Beispiel generell keine Rolle. Umgekehrt bedeutet das jedoch nicht, dass jede noch so geringfügige formale Abweichung von den Vorgaben der Vergabeunterlagen einen Angebotsausschluss nach sich zieht.
Vielmehr sind etwa Korrekturen in fehlerhaften unternehmensbezogenen Unterlagen grundsätzlich zulässig, wenn keine Manipulationsgefahr besteht und der Auftraggeber im Falle des Zuschlags auf das betreffende Angebot genau das erhält, was er beschaffen möchte. Offenkundige Rechen- oder Schreibfehler sind vom Auftraggeber im Übrigen auch ohne Aufklärung zu korrigieren. Das hat die Vergabekammer (VK) Berlin im Beschluss vom 06.01.2020 (VK B 1-39/19) entschieden. Der Beschluss ist bestandskräftig; die gegen ihn gerichtete sofortige Beschwerde hat das Kammergericht zurückgewiesen (Beschluss vom 04.05.2020 - Verg 2/20).
Der Fall
In dem konkreten Fall schrieb der Auftraggeber Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte in drei Losen aus. Die spätere Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot u. a. für Los 2 an dem Verfahren. Sie ist Rechtsnachfolgerin der X-GmbH. Auf diesen Umstand wies sie in dem Anschreiben zu dem Angebot hin. Mit dem Angebot war eine Eigenerklärung zur Eignung ausgefüllt einzureichen. Dort war die Anzahl der Beschäftigten und der Führungskräfte in eine Tabelle einzutragen. Der Auftraggeber hatte dafür die Jahresangaben 2016, 2017 und 2018 vorgegeben. Die Antragstellerin ergänzte die Jahresangaben in dem Vordruck jeweils um ,,X-GmbH". Darunter trug sie - wie gefordert - jeweils die Anzahl der Beschäftigten ein, wobei sich die Angaben der Antragstellerin in allen Spalten unterschieden.
Der Auftraggeber schloss das Angebot für Los 2 daraufhin wegen Änderung der Vergabeunterlagen aus. Die Antragstellerin habe eigenmächtig eignungsrelevante, nicht änderbare Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen verändert bzw. ergänzt. Bei derartigen Änderungen sei ein Ausschluss ohne Aufklärung zwingend; zudem seien falsche Unternehmens- und Jahresbezeichnungen eingetragen worden. Die Antragstellerin verwies darauf, dass sie weder vom geforderten Leistungsinhalt, noch von den geforderten Angaben zur Eignung abgewichen sei. Sie strengte ein Nachprüfungsverfahren gegen ihren Ausschluss an und beantragte, den Auftraggeber zu verpflichten, den Ausschluss ihres Angebots zurückzunehmen.
Die Entscheidung
Mit Erfolg. Die Ergänzung der Unternehmensbezeichnungen in der Eigenerklärung zur Eignung stellen nach Auffassung der Vergabekammer keine Änderung der Vergabeunterlagen dar, die nach §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 der VgV zum Ausschluss des Angebotes führen. Änderungen an den Vergabeunterlagen in diesem Sinne lägen nur dann vor, so die Vergabekammer, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber ausgeschrieben hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, mithin wenn eine inhaltliche Änderung der ausgeschriebenen Leistung, der Vertragsbedingungen oder der Preise erfolgt.
Auch die Verordnungsbegründung zeige, dass nicht jede Änderung zu einem Angebotsausschluss nach §§ §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV führe: Denn nach dem Willen des Verordnungsgebers liege eine von § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV umfasste Änderung der Vergabeunterlagen (nur) dann vor, wenn im Ergebnis eine andere als die ausgeschriebene Leistung angeboten wird. Damit werde deutlich, so die Kammer, dass der Verordnungsgeber nicht jede noch so marginale formale Abweichung mit einem Angebotsausschluss sanktionieren wolle. Zudem entspreche es dem Sinn des Vergabeverfahrens, das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen und ein solches nicht an formaljuristischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen.
Im konkreten Fall stelle die Ergänzung von Unternehmensbezeichnungen jedenfalls keinen manipulativen Eingriff dar, worauf der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner – aufgrund eines von ihm angenommenen Wertewandels in der VOB/A weniger am Gedanken formaler Ordnung orientierten – aktuellen Rechtsprechung (Urteil vom 18.06.2019 - X ZR 86/17) letztlich ebenfalls abstelle.
Die ergänzten Unternehmensbezeichnungen bedeuteten weder eine Gefahr für die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung, noch müsse der Auftraggeber befürchten, im Falle des Zuschlags auf das Angebot der Antragstellerin etwas anderes zu erhalten als das, was er beschaffen möchte. Es handle sich nicht um Änderungen des eigentlichen Kerns der Vergabeunterlagen, also der Leistungsbeschreibung oder der Vertragsbedingungen. Die durch zwei verdrehte Buchstaben falsche Schreibweise der Unternehmensbezeichnung sei überdies derart offensichtlich, dass der Auftraggeber diese selbst korrigieren dürfe und auch müsse. Das Angebot der Antragstellerin war daher zu Unrecht wegen der Ergänzung der Unternehmensbezeichnungen ausgeschlossen worden. Es musste daher neu gewertet werden.
Die Bedeutung für Bieter
Auch für den Ausschluss wegen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen gilt: Der Auftraggeber muss das Angebot zunächst auslegen; bleibt der Inhalt des Angebotes dann unklar, muss er diesen näher aufklären und schließlich ggf. fehlende oder fehlerhafte Unterlagen nachfordern. Erst wenn nach diesem Dreischritt ein Angebot vorliegt, das nicht den Erwartungen und Anforderungen des Auftraggebers – wie sie in den Vorgaben der Vergabeunterlagen Gestalt angenommen haben – entspricht, ist der Ausschluss zulässig und häufig auch nicht zu vermeiden. Marginale formale Abweichungen oder offensichtliche Rechen- und Schreibfehler rechtfertigen einen Ausschluss jedoch nicht. Das Anliegen, Angebotsausschlüsse aus rein formalen Gründen wenn möglich zu vermeiden, verfolgt auch die zitierte aktuelle Rechtsprechung des BGH.
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